„Das Treffen der Flurnamen“

Nach der Traubenernte, dem „Herbschte“, kehrte in der Südpfalz Ruhe im Weinberg ein. So auch in Essingen. So dachten sich die Flurnamen: „Losst uns doch mol wieder treffe un ä Fescht mache. Mir hänn des schon lang nimma g‘macht!“ Gesagt, getan. Sie trafen sich an der Liebesinsel. Fast alle kamen. Es waren zu viele, um sie alle aufzählen zu können. Aber alle hatten Platz auf dem Essinger Stuhl gefunden.

Da waren der „Sonnenberg“, das „Finsterthal“, die „Eichbach“, der „Schafhöbel“, das „Achenthal“, das alle „Ackertal“ nennen, das „Dommännel“, „die Gerichtsgewanne“, die „Katharinengewanne“ und die Brüder „7-, 8-, 9-, 10-, 11-, 18-Morgen“. Der „10-Morgen“ hatte noch einen Zwillingsbruder, sie wohnten in unterschiedlichen Einzellagen, besuchten sich aber regelmäßig. Die geheimnisvollen Flurnamen, das „Schoßbrett“, der „Teufelsgraben“ und der/die/das „Ziegganten“, standen mal wieder zusammen und lächelten, weil niemand ihre Flurnamen deuten konnte.

Alle Flurnamen lebten in der gleichen Großlage, dem großen „Trappenberg“, aber in den drei unterschiedlichen Essinger Einzellagen „Sonnenberg“, „Osterberg“ und „Roßberg“. „Früher gab es noch meine Freunde den ‚Elsberg‘, der jetzt zum ‚Sonnenberg‘ und den ‚Wormberg‘, der jetzt zum ‚Osterberg‘ gehört“, berichtete das „Ackertal“, „leider waren beide Berge lange nicht mehr beim Treffen der Flurnamen. Ich habe sie eingeladen, wahrscheinlich kommen sie aber nicht.“

Die Flurnamen wurden ruhig, und die erste Gruppe stellte sich vor: „Wir leben auf dem höchsten, 160 Meter hohen, und größten, 146 Hektar großen, Berg, dem ‚Sonnenberg‘“, verkündeten die „Eichbach“ und der eine „10-Morgen-Zwilling“. „Wir sonnen uns da, haben einen wunderbaren Lehmboden, unsere Bergneigung ist hängig.“ Alle klatschten und tranken dann ein Glas weißen Weißburgunder.

Die zweite Gruppe erhob sich: „Wir leben auf dem kleinsten, 140 Meter hohen, aber zweitgrößten, 116 Hektar großen, Berg, dem ‚Osterberg‘ auf angenehmem lehmigem Sandboden, unsere Bergneigung ist flach“, berichteten der/die/das „Ziegganten“ und die Brüder „8-, 11-, 18-Morgen“. „Unser Berg heißt ‚Osterberg‘, weil er im Osten liegt, hat aber nichts mit Ostern zu tun, wie viele denken.“ Wieder klatschten alle und tranken ein Glas weißen Müller-Thurgau.

Jetzt wollte sich auch die dritte Gruppe vorstellen: „Wir leben auf dem zweitgrößten, 155 Meter hohen, aber kleinsten, 112 Hektar großen, Berg, dem ‚Roßberg‘ auf schönem sandigem Lehm- und Lößboden, unsere Bergneigung ist hängig“, sagten die „Katharinengewanne“, die „7-, 9-, 10-Morgen“, das „Ackertal“, die „Krummgewanne“ und die „Gerichtsgewanne“. „Auf unserem Berg konnten die Pferde weiden.“ Und erneut konnte man Klatschen vernehmen, und alle tranken ein Glas roten Spätburgunder.

„Nur Experten anwesend, was?!“, rief es plötzlich in die Runde. Es war der „Elsberg“ und der „Wormberg“, die etwas verbittert dreinschauten. Manche der jungen Flurnamen kannten sie schon gar nicht mehr. „Schön, dass ihr da seid“, sagte das Ackertal, „ich kenne euch noch. Du bist der ‚Elsaßberg‘, weil du Richtung ‚Elsaß‘ liegst, wurdest aber irgendwann ‚Elsberg‘ genannt und gehörst jetzt zum ‚Sonnenberg‘. „Ja, das stimmt“, freute sich der „Elsberg“.

„Und du bist der ‚Schlangenberg‘, weil da Kreuzotter lebten. ‚Wurm‘ ist ein altes Wort für ‚Schlange‘. Die Leute sagen zu ‚Wurm‘ aber ‚Worm‘, und so wurdest du von ‚Wurmberg‘, was ‚Schlangenberg bedeutet, zu ‚Wormberg‘. Du gehörst jetzt zum ‚Osterberg‘“, sprach das „Ackertal“ weiter.

„Oh, du kennst mich noch“, freute sich auch der „Elsberg“. „Und wer bist du?“, fragte er? „Ich bin das ‚Ackertal‘“, sagte das „Ackertal“, „die Leute nennen mich so. Aber das ist nicht korrekt, eigentlich heiße ich ‚Wachenthal‘, hier gab es viel Wasser, der alte Name für Wasser ist ‚wac‘. Im Laufe der Zeit wurde ich erst zu ‚Achenthal‘ und dann zum ‚Ackertal‘.“

„Was wir alles erlebt haben“, sagten die drei und nannten sich zur Feier des Tages nach ihren ursprünglichen Namen, „Elsaßberg“, „Wurmberg“ und „Wachenthal“. Sie umarmten sich, hoben, als Südpfälzer natürlich, ein Glas weißen Morio-Muskat auf ihre Geschichte. Die drei Freunde feierten noch bis in die Morgensonne mit den anderen Essinger Flurnamen ein rauschendes Fest an der Liebesinsel, sodass der Stuhl gewaltig wackelte.

(Hinweis: Einen herzlichen Dank geht an die Essinger Heimatforscher Wilfried Berger und Philipp Jäger. Und natürlich an meinen Urgroßvater, den Essinger Landwirt, Bürgermeister und Heimatforscher, Heinrich Jäger. Ohne deren Schriften zur Essinger Heimatgeschichte wäre die Geschichte „Das Treffen der Flurnamen“ nicht möglich gewesen.)

Dirk Jäger

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